Warum ehrliche Arbeit ansteckend sein kann

Autorin Linda Entz beweist ihr Talent bei einer Lesung in der Volksbank.

Wolfenbüttel, 13. Juni 2017

Warum in die Ferne schweifen, liegt das Gute doch so nah. Diese Überlegung mag bei den Planungen zur ersten Lesung des Literaturkreises in diesem Jahr eine Rolle gespielt haben. Und so begrüßte Vorsitzender Wolfgang Rischer dieses Mal eben nicht – wie bei den vorangegangenen Veranstaltungen – Autoren, die aus Berlin oder Sachsen-Anhalt nach Helmstedt kamen, sondern Linda Entz aus Groß Steinum.

Eine gute Wahl, das wurde dem Publikum in den Räumen der Volksbank Helmstedt schnell klar. Statt langatmiger Einleitungen oder autobiografischer Vorstellungen stellte sich die Autorin den zahlreichen Anwesenden mittels eines Gedichtes vor und beschrieb sich in eben diesem als Tintenfisch mit acht Armen. Dass das Schreiben für sie eher Leidenschaft ist und nicht dem Broterwerb dient, machte sie anschließend in ihren Wolfsburger Wohnungsgeschichten deutlich. In ihnen schildert die Groß Steinumerin pointiert, was sie als Fliesen- und Mosaiklegemeisterin in der Stadt der Autobauer erlebte. Ihre Begegnungen mit Menschen, die Handwerker als nicht des Grüßens wert erachten, beschreibt sie dabei so lebendig, dass man ihre Einschätzung, diese hätten wohl Angst davor, ehrliche Arbeit könne ansteckend sein, schmunzelnd und mit einem Nicken nachzuvollziehen mag. Doch dann berichtet sie auch von all den netten Begegnungen, die sie – und das Publikum – mit den etwas besonderen Nachbarn im Nordwesten versöhnt.

Es schließen sich einige Gedichte an, die Linda Entz gerade in einem ersten Gedichtband veröffentlicht hat. Sie sind kleine Kunstwerke, doch so facettenreich, dass sie fast ein wenig untergehen an diesem Abend, der deutlich von ihren Kurzgeschichten dominiert wird. All ihre Geschichten scheinen einen sehr persönlichen Ursprung zu haben. So lässt sie ihr Publikum wissen, dass der Schauplatz der nächsten Geschichte – die Marienkirche in Danzig – ein Ort ist, den sie gemeinsam mit ihrem Vater regelmäßig besucht. Dass dieser Ort ihr wohlvertraut ist, wird in der detaillierten Beschreibung des beeindruckenden Bauwerks deutlich. Den eigentlichen Zauber jedoch bezieht die Kurzgeschichte aus den handelnden – fiktiven – Personen: Einem begabten Musiker, der als potenzieller Selbstmörder den Turm der Kirche besteigt und dort auf ein kleines rumänisches Bettelmädchen trifft, das ihn mittels einer Spieluhr von seinem Vorhaben abzubringen vermag. Das Mädchen wiederum wird für den Rest ihres Lebens überzeugt davon sein, einen Engel, der aus dem Himmel gestiegen kam, begegnet zu sein.

Abschließend führt Linda Entz ihr Publikum nach Groß Steinum – in ihre Heimat. In der preisgekrönten Erzählung „Hier ist nichts“ gelingt es ihr, die Zuhörer durch das kleine Dorf am Dorm zu führen und es lebendig werden zu lassen. Sie nimmt sie dabei mit auf eine Reise in die ferne Vergangenheit des Ortes. Eindrucksvoll macht sie deutlich, dass an diesem Ort nicht nur aktuell sehr wohl etwas ist, sondern es durch alle Zeiten auch immer war – und ebenso in Zukunft sein wird.

Langanhaltender Beifall zeugt davon, dass Linda Entz die Freunde des Literaturkreises nicht nur erreicht, sondern auch wirklich berührt hat. Einziger Wermutstropfen ist ihre Feststellung, dass die meisten ihrer Werke zurzeit leider vergriffen sind.

Quelle: Text und Foto Braunschweiger Zeitung, 13.06.2017